von Dr. Brigitte Gappmair
Bei der Pandemie bringen die neuen Impfstoffe einen ersten Hoffnungsschimmer. Es wird weiter intensiv geforscht, schon bis Mitte des Jahres 2021 wird es an die zwanzig neue Vakzine geben.
Bei der Covid-19-Pandemie, die seit einem Jahr mit immer weiter steigenden Erkrankungs- und Todesfällen die Welt erschüttert, handelt es sich zweifellos um die bisher größte Herausforderung für die Menschheit neben dem Klimawandel, der uns allerdings noch länger und folgenschwerer als das Corona-Virus beschäftigen wird. Aber im Gegensatz zum Klimawandel, der vielen fälschlicherweise immer noch als diffuse, weit in der Zukunft liegende Bedrohung erscheinen mag, grassiert die Pandemie akut, tötet täglich quer durch alle Schichten und Altersgruppen. 2020, zum Ende des ersten Jahres der Pandemie, gehen weltweit an die zwei Millionen Menschenleben auf das Konto von Covid-19, in Österreich rund 5000. Schon 2002 und 2003 war vor allem Asien mit der SARS-Epidemie konfrontiert, die, ebenfalls ausgehend von China, von einem nahen Corona-Verwandten des heutigen Erregers ausgelöst worden ist. Man hatte die Sache relativ rasch im Griff, es gab weltweit „nur“ 774 Tote in 25 Ländern. Aber schon damals waren sich Experten einig, dass dieser Erreger eines Tages wieder auftreten würde – und zwar in einer mutierten, viel gefährlicheren Form. Ende 2019 war es dann soweit. Wieder in China. Und wie schon 2002 haben die chinesischen Behörden auch diesmal, Ende 2019, Anfang 2020, die beginnende Epidemie zunächst unter den Teppich gekehrt und so der weltweiten Ausbreitung des Virus Vorschub geleistet. Es ist der Unterschied zwischen dem damaligen Erreger und dem aktuellen Corona-Virus, der die Bekämpfung dieser Seuche so herausfordernd macht.
Turbo in der Medizin
Im Gegensatz zum SARS-Erreger hat das neue Covid-Virus eine lange Inkubationszeit, und die Patienten sind in dieser Zeit bereits hoch ansteckend, ohne es zu wissen. Das macht es so schwer, die Ausbreitung von Covid-19 in den Griff zu bekommen. Was uns alle wohl noch mindestens ein weiteres Jahr intensiv beschäftigen wird. Daran werden auch die jetzt begonnenen Impfungen noch nicht sehr viel ändern können. Aber dass bereits nach einem Jahr die ersten wirksamen Impfstoffe verfügbar sind, zeugt von einer bemerkenswerten Resilienz – von funktionierenden Systemen und verantwortungsvoll handelnden Personen in Politik, Forschung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Vor allem in Europa und Asien, und - bei aller Kritik - auch in Österreich und Deutschland. Fazit: Das Corona-Virus hat einen unglaublichen Turbo gezündet, riesige Veränderungen binnen kürzester Zeit ausgelöst und gezeigt, was die Menschheit zu leisten imstande ist, wenn es darauf ankommt. So etwas bräuchten wir jetzt auch in Sachen Klimawandel.
Was können die neuen Impfstoffe?
Da sich die Versuche in einigen Ländern, auf „natürlichem“ Weg durch eine möglichst hohe Ausbreitung des Virus zu einer Art „Herdenimmunität“ zu gelangen und so die Seuche zum Erliegen zu bringen, als gescheitert erwiesen haben, liegen die Hoffnungen allein auf den Impfstoffen, die jetzt zum Einsatz kommen. Weltweit sind seit Jahreswechsel bereits fünf Vakzine unterschiedlichster Qualität und Wirksamkeit verfügbar, bis zum Sommer werden es an die 20 oder noch mehr sein. Rund 180 Impfstoffe befinden sich weltweit in verschiedenen Entwicklungs- und Erprobungs-Stadien, einige auch in Österreich.
Klinische Immunität verhindert schwere Krankheitsverläufe
Dennoch wird es noch länger dauern, bis die Zeiten wieder „wie früher“ werden, bis die Pandemie besiegt sein wird. Die meisten Experten gehen zwar davon aus, dass auch schon die ersten Vakzine, etwa jene von Biontech/Pfizer, Moderne und AstraZeneca in der Lage sind, schwere Krankheitsverläufe zu verhindern, also einen Zustand zu erreichen, den Virologen als klinische Immunität bezeichnen. Geimpfte verspüren im Erkrankungsfall nur leichtere Erkältungssymptome. Damit ist zwar auch schon viel erreicht, aber die Viren können sie wahrscheinlich trotzdem weiter verbreiten und nicht geimpfte Personen in Lebensgefahr bringen. Das Thema, wie weit jemand trotz Impfung infektiös ist und wie lange die durch Impfungen erzielte Immunität anhält, ist Gegenstand intensiver Forschungen. Wobei es darauf ankommt, möglichst genau zu prüfen, wie menschliche Immunsysteme im Detail auf eine Infektion mit Covid-19 reagieren, welche Abwehrwaffen unser Körper aufzubieten vermag. Das lässt dann nämlich auch Schlussfolgerungen auf die Wirksamkeit der Vakzine zu. Eine kürzlich veröffentlichte Studie des kalifornischen La-Jolla-Instituts für Immunologie hat dazu die Immunantworten infizierter Menschen genau untersucht. Demnach sind sowohl Antikörper als auch T-Zellen – zwei der zentralen Waffen unseres Immunsystems – zumindest fünf Monate nach dem Einsetzen der ersten Symptome noch nachweisbar, selbst bei Verläufen mit milder Symptomatik. Virologen finden es ermutigend, dass die T-Zell-Antwort des menschlichen Immunsystems über mehrere Monate vorhanden war. Das lasse erwarten, dass sich die Symptomatik einer Covid-19-Erkrankung auch dank der neuen Impfungen verringert. „Das sind vielversprechende Neuigkeiten: Wenn eine natürliche Infektion mit dem Virus eine robuste T-Zell-Antwort hervorrufen kann, bedeutet dies, dass ein Impfstoff dasselbe tun könnte“, kommentiert Fiona Watt, geschäftsführende Vorsitzende des britischen Medical Research Council, in einem Artikel des Fachjournals „The BMJ“. Deutsche Virologen verweisen darauf, dass eine natürliche Infektion nicht mit einer Impfung vergleichbar sei, die Immunantwort falle nach einer Impfung nämlich in der Regel deutlich effizienter aus. Was die Hoffnung zulässt, dass die klinische Immunität durch die neuen Impfstoffe deutlich länger anhält als nur fünf bis sechs Monate.
Sterile Immunität bedeutet lebenslanger Infektionsschutz
Da die Impfungen in einigen Ländern bereits seit Ende Dezember voll im Gang sind, wird man spätestens bis Mitte 2021 mehr darüber wissen. Jedenfalls muss nachgeimpft werden, nachdem der Impfschutz abgeklungen ist, was durch einfache Tests beim Hausarzt oder in der Apotheke festgestellt werden kann. Deutsche Experten rechnen angesichts der teils heftigen Immunantworten auf die neuen Vakzine allerdings schon damit, dass die klinische Immunität von geimpften Personen rund zwei Jahre oder noch länger anhalten könnte, also in dieser Zeit im Ansteckungsfall ein wirksamer Schutz vor schweren Krankheitsverläufen besteht. Von einer sterilen Immunität, also einer auf Antikörpern beruhenden lebenslangen Schutzwirkung durch die Impfstoffe, die auch verlässlich vor einer Ansteckung schützt, kann derzeit mit den ersten neuen Impfstoffen noch nicht ausgegangen werden, ist sich die Wissenschaft weitgehend einig. Somit können diese ersten Impfstoffe auch nur ein erster Schritt sein, um schwere Krankheitsverläufe und damit die Überlastung der Gesundheitssysteme und Intensivstationen zu verhindern. Aber das kann der Krankheit den Schrecken und damit auch viel Druck aus dem System nehmen. Leidgeprüfte Branchen werden dank der neuen Impfungen wieder Zuversicht schöpfen können. Bis allerdings ein hochwirksamer Impfstoff wie wir ihn gegen andere Erreger, etwa Tetanus, Pocken oder Kinderlähmung kennen, verfügbar sein wird, könnte es noch Jahre dauern. Bis es soweit ist, werden wir trotz Impfung mit weiteren Einschränkungen – wie etwas Maskenschutz oder Social Distancing – leben müssen. Aber Lockdowns wird es hoffentlich wohl dann nicht mehr geben müssen, wenn alle vulnerablen Personen – ältere Menschen, Gesundheitspersonal – durch die neuen Impfungen vor schweren Krankheitsverläufen und Todesfällen geschützt sein werden. Das dürfte spätestens bis Mitte 2021 der Fall sein, was auf einen annähernd normalen Sommer hoffen lässt.
Die neuen Impfstoffe auf Boten-RNA-Basis*
Biontech/Pfizer erhielt als erster von allen Kandidaten die ersten Impfstoff-Zulassungen von nationalen Behörden. Der neuartige mRNA-Impfstoff, der einen relativ hohen Logistik-Aufwand erfordert, weil er bei minus 70 Grad transportiert und gelagert werden muss, wurde von den Medizinern Ugur Sahin und seiner Frau Özlem Türeci innerhalb von nur 10 Monaten entwickelt. Bei dem Ehepaar handelt es sich um ein Musterbeispiel gelungener Integration. Die zwei sind in Deutschland geborene Kinder türkischer Migranten, sie haben 2008 in Mainz ihre Firma BioNTech gegründet, die seit 2019 auch an der Börse notiert. Mittlerweile gehören sie zu den reichsten Deutschen. Anstatt wie bisher üblich, das Immunsystem mit Bestandteilen des Virus zu schärfen, wird bei dem neuen Verfahren lediglich dessen genetischer Bauplan kopiert und injiziert. Schon vor der Corona-Pandemie arbeiteten die beiden erfolgreich an Krebs-Medikamenten auf mRNA-Basis, das „m“ steht für „messenger“ – also Boten-RNA. Vereinfacht gesagt, wird das Immunsystem in die Lage versetzt, dank des Messenger-Bauplans Antigene gegen bestimmte Krebsarten, jetzt aber auch erfolgreich gegen das Corona-Virus zu produzieren. Die neue Technologie ist kostengünstig, schnell und vergleichsweise einfach einzusetzen. Ein Container reicht, um das ganze Equipment an jeden Ort der Welt bringen zu können, wo gerade eine neue Epidemie ausbricht, um sofort den Bauplan für entsprechende Antigene herstellen zu können. So sieht Zukunft aus.
Moderna ist ein 2010 in Cambridge, Massachusetts, USA mit Milliarden an Wagnis-Kapital gegründetes Unternehmen, das ebenfalls mit einem neuartigen mRNA-Impfstoff am Markt ist, der sogar den Vorteil hat, bereits bei Kühlschrank-Temperatur bis zu 30 Tage lang stabil zu bleiben. Auch der Moderna-Chef, der Franzose Stéphane Bancel spricht wie Ugur Sahin in Mainz „von einer völlig neuen Medikamentenklasse“. Bancel: „Wenn wir das Innere der Zelle erreichen, eröffnet das ganz neue Welten für Therapien von nahezu jeder Krankheit“. Kein Wunder, dass Moderna an der New Yorker Börse zum absoluten Biotech-Star geworden ist und seine Investoren reich gemacht hat.
*RNA – die Ribonukleinsäure (acid) ist bei bestimmten Virentypen der Träger der Erbinformation.