Aktuelle Diagnose Abläufe und Therapiekonzepte: Schilddrüsen­funktionsstörungen

von Dr. Christian Pirich

 

Für viele Schilddrüsenerkrankungen bestehen gesicherte Diagnoseabläufe und wirksame Therapiekonzepte. Dazu zählen die Abklärung des symptomatischen oder zufällig entdeckten Schilddrüsenknotens, des Schilddrüsenkarzinoms sowie der laborchemisch manifesten Funktionsstörungen, d.h. der manifesten Hypo- und Hyperthyreose. 

Die große Häufigkeit von abnormen Befunden der Schilddrüsenfunktion macht es aus medizinischen und organisatorischen Gründen, und unter dem Aspekt der Patientenorientierung verständlich, Kriterien für die Notwendigkeit und die Dringlichkeit weiterführender diagnostischer Maßnahmen darzustellen. Nicht jeder abnorme TSH-Befund [erhöhtes oder erniedrigtes TSH] erfordert eine umfassende diagnostische Abklärung, Behandlung oder Zuweisung an eine Schilddrüsenambulanz. 

 

Funktionsstörungen

Für die Diagnose von Funktionsstörungen ist in der Regel die initiale Bestimmung des basalen TSH ausreichend und sinnvoll. Ausnahme ist die Anamnese einer hypophysären Erkrankung oder eines schweren Schädel-Hirn Traumas. Die ausschließliche TSH-Bestimmung wird deshalb von zahlreichen (inter)nationalen Richtlinien und diagnostischen Leitfäden zur initialen Abklärung von Funktionsstörungen und Erkrankungen der Schilddrüse empfohlen. Es werden manifeste von latenten Funktionsstörungen unterschieden. Nicht jeder außerhalb des Referenzbereiches liegende Laborbefund besitzt einen Krankheitswert oder stellt eine Behandlungsindikation dar. Gerade die Kontrastmittelexposition im Rahmen von CT-Untersuchungen oder Angiografien führen zu Schwankungen der Schilddrüsenfunktion, die je nach Jodversorgung der / des Patient*in von der latenten Hypothyreose (Wolff-Chaikoff Effekt) bis zur latenten oder, sehr selten, manifesten Hyperthyreose reichen können.

 

Latente (subklinische) Hypo- und Hyperthyreose  

Bei Fehlen einer wegweisenden Anamnese und typischen Klinik für latente Hypothyreose oder Hyperthyreose und unauffälligem Ultraschallbefund der Schilddrüse ist bei Erwachsenen mit abnormem TSH eine Verlaufskontrolle der Schilddrüsenfunktion in 3 bis 6 Monaten ausreichend. Eine häufige Ursache latenter Funktionsstörungen sind Änderungen der Einnahmemodalitäten der Schilddrüsenhormontherapie bei chronischer Immunthyreoiditis (Hashimoto-Thyreoiditis) oder nach operativer Resektion der Schilddrüse. Es ist festzuhalten, dass es gerade für die Behandlung milder (TSH< 10mU/L) latent hypothyreoter (subklinischer) Funktionsstörungen keine gesicherte Evidenz für die Reduktion der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität, die Verbesserung der Lebensqualität oder kognitiver Leistungen als Folge einer Schilddrüsenhormonersatztherapie gibt. Vor allem die unkritische Behandlung der latenten Hypothyreose mit gering außerhalb des Referenzbereiches liegenden TSH-Werten um die 6mU/L wird bei Patient*innen über 75 Jahren in der Literatur kritisch gesehen. Es ist erwähnenswert, dass Populationsstudien einen hohen Anteil an Personen mit höheren TSH-Werten bei Gesunden über 100-Jährigen zeigen.Bei Patient*innen < 75 Jahren sind das Risikoprofil für den Übergang in eine manifeste Hypothyreose [wie z.B. der Schilddrüsenautoantikörper (TPO) Status], die Sonomorphologie der Schilddrüse, die Dauer und Schweregrad der klinischen Symptomatik (Haarausfall, Obstipation, etc.), Begleiterkrankungen (Nikotinkonsum, art. Hypertonie, Hyperlipidämie, Depression, etc.) und die Patientenpräferenz und -adhärenz für eine mögliche Langzeittherapie in der Entscheidungsfindung für oder gegen eine Therapie zu berücksichtigen. Klinische Studien zeigen, dass die latente Hyperthyreose (TSH< 0,1 mU/L) mit einer Erhöhung des kardiovaskulären Risikos assoziiert ist, wobei die Inzidenz des paroxysmalen Vorhofflimmerns zunimmt, aber auch eine Neigung zur arteriellen Hypertonie beschrieben wurde. Diese Faktoren begründen die frühzeitige (temporäre) thyreostatische Therapie bei Patient*innen mit kardiovaskulären Vorerkrankungen.Bei der jahrelang persistierenden latenten Hyperthyreose kommt es zudem zu einer Abnahme der Knochenmineraldichte und frühzeitigen Entwicklung einer Osteoporose, sodass die (iatrogene) TSH-Suppression immer zu vermeiden ist – Ausnahme: die hochdosierte Substitutionstherapie des differenzierten papillären oder follikulären Schilddrüsenkarzinoms! Auch latente Hypothyreosen/Hyperthyreosen bei Frauen mit Kinderwunsch, in der Schwangerschaft oder postpartal sind einer differenzierten Abklärung zuzuführen: Die selektive Optimierung des TSH-Spiegels <2,5mU/L bei Kinderwunsch ist mit einer Erhöhung der Fertilitätsrate assoziiert. In der Schwangerschaft sind physiologische (HCG-induzierte) Abweichungen des TSH nicht behandlungswürdig. Die postpartale Thyreoiditis kann mit temporären latent hyperthyreoten oder hypothyreoten Phasen einhergehen, ist jedoch mit einer hohen Rate an spontanen Remissionen verbunden.

 

URSACHEN Manifeste Hypothyreose

Für die manifeste Hypothyreose bestehen zahlreiche Ursachen, unter den die chronische Immunthyreoiditis (unter ihnen die Hashimoto Thyreoiditis) und der Zustand nach Lobektomie oder Thyreoidektomie am häufigsten sind. Aufmerksamkeit ist auf die doch erhöhte Komorbidität der Patientengruppen mit Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse zu richten (Assoziation mit chronischer Polyarthritis, perniziöser Anämie, systemischer Lupus erythematosus, M. Addison, Zöliakie und Vitiligo). Es besteht nur eine wirksame Therapieform der Hypothyreose, jene der Thyroxin-Substitutionstherapie. Die bei der chronischen Immunthyreoidits immer wieder eingesetzte Selenmethionin-Therapie kann im Allgemeinen die Konversion einer latenten in die manifeste Form und den strukturellen Parenchymverlust nicht verhindern und ersetzt die Thyroxintherapie nicht. 

 

Therapie Manifeste Hypothyreose

Bei Verschlechterung einer latenten Funktionsstörung – d.h. das TSH fällt unter die Nachweisgrenze von 0,1 mU/L mit begleitender Erhöhung von freiem T3 und T4 sollte in jedem Falle die Überweisung an eine Schilddrüsenambulanz erfolgen. Betablocker sind eine hinsichtlich der kardialen und neurologischen Symptomatik rasch wirksame und protektive (Dauer-)Therapie bei der manifesten Hyperthyreose. Nicht-selektive Betablocker wie Propranolol bieten den Vorteil einer zusätzlichen Hemmung von T4 in T3, müssen aber in 2-3 Tagesdosierungen eingesetzt werden.Die der manifesten Hyperthyreose zugrundeliegenden Erkrankungen erfordern häufig die Zuweisung an ein(e) Schilddrüsenambulanz/-institut zur Komplettierung der Abklärung. Bei der manifesten Hyperthyreose erfordern die beiden häufigsten Differenzialdiagnosen uni- oder multifokale Autonomie (Nachweis durch die Schilddrüsenszintigrafie) versus Immunhyperthyreose (Merkmal: jüngere Patient*innen, nahezu immer erhöhte TSH-Rezeptor Autoantikörperspiegel, sonografisches Bild einer strukturell inhomogenen hyperperfundierten Schilddrüse) unterschiedliche therapeutische Ansätze.  Die thyreostatische Therapie ist 1.Wahl bei Immunhyperthyreosen, während die Radiojodtherapie oder Radiofrequenzablation für Autonomien herangezogen werden. Die Radiojodtherapie ist bei einer unifokalen Autonomie Therapie der Wahl, da eine hochselektive Ablation des hyperfunktionellen Knotens erfolgen kann, ohne die Restschilddrüse in ihrer Funktion zu mindern. Die jahrelange Dauertherapie mit Thyreostatika sollte nur bei sehr niedrigen Erhaltungsdosen und gleichzeitigem Vorliegen von Kontraindikationen gegenüber anderen Therapieformen angewandt werden.Der Einsatz der chirurgischen Therapie (Lobektomie oder Thyreoidektomie) ist bei multiplen hyper- und hypofunktionellen Knoten, höhergradiger mechanischer Kompression der Trachea oder therapierefraktäre Situation (Immunhyperthyreose mit > 1 jähriger Behandlungsdauer und hoher Erhaltungsdosis, Thyreostatika Nebenwirkungen) zu erwägen. Die Auswahl der Therapie bei mehreren Optionen ist unter Berücksichtigung von Alter, Begleiterkrankungen und -medikation und individuelle Patientenbedürfnisse zu treffen und zu diskutieren. Die Weiterbetreuung von Schilddrüsenfunktionsstörungen sollte unbedingt in enger und abgestimmter Kooperation mit Allgemeinmediziner*innen bzw. den betreuenden Ärzt*innen erfolgen, da sich damit die höchste Patientenorientierung ergibt. Schnelle und datengesicherte elektronische Applikations- oder telemedizinische Anwendungen oder Lösungen, die die Versorgungsbereiche KH, niedergelassene Ärzt*innen mit der Patientin/dem Patienten kurzschließen, könnten eine weitere Verbesserung der oft jahrelangen Patientenbetreuung ermöglichen. 

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