Der endgültige Beweis, dass Physiotherapie bei Inkontinenz nach radikaler Entfernung der Prostata signifikant erfolgreich ist, ist wissenschaftlich noch nicht gegeben, es gibt aber klare Hinweise dafür.
Dies liegt zum einen an unterschiedlichen Studiendesigns, die kaum vergleichbar sind und zum anderen daran, dass Männer häufig nicht entsprechend ihres Pathomechanismus therapiert werden. Die Prostata befindet sich direkt unter der Harnblase zirkulär um die Harnröhre. Derinnere Harnröhrenschließmuskel (HSM) zieht von der Basis der Harnblase tief in die Prostata. Dieser ist an unbewussten Kontinenzmechanismen beteiligt. Der untere Pol der Prostata geht in den äußeren HSM über und umgibt ebenfalls die Harnröhre.Dieser wird bei Harndrang willentlich kontrahiert. Bei einer radikalen Entfernung der Prostata geht mit dieser der unwillkürliche Anteil der Kontinenz verloren und je nach Ausbreitung des Tumorgewebes, kann auch der externe HSM bei der Operation mechanisch verletzt werden. Füllt sich die Blase, steigt der Druck auf den geschwächten HSM, der zusätzlich den Ausfall des unwillkürlichen Anteiles kompensieren soll. Das wird zuviel und die Folge ist unkontrollierter Harnverlust.Dieser Pathomechanismus unterscheidet sich von jenem der Frauen, wo die Ursache oft die Folge von Schwangerschaft und Geburt darstellt.
Physiotherapie vor der OP beginnen
Die wissenschaftliche Literatur empfiehlt schon vor der OP mit Physiotherapie zu beginnen. Männer erlernen dabei, wie sie ihren externen HSM gezielt ansteuern und trainieren können und haben Vorteile bei der postoperativen Therapie, die ab Entfernung des Katheters beginnen kann. Zusätzlich lernen Männer andere Muskelsysteme ihres Beckenbodens und ihre zentrale Körperspannung für die Kontinenz einzusetzen. Zur Beurteilung der Ansteuerung des HSM sollte diese mit Echtzeitultraschall visualisiert und durch Eigenbetastung am Damm das motorische Lernen unterstützt werden. Das Training sollte funktionell gestaltet sein, um alltagsrelevante “Gefahrensituationen” zu üben und es sollte ein strukturiertes Heimübungsprogramm erarbeitet werden. Das Training kann man mittels Elektrostimulation ergänzen. Der anale Sphinkter sollte nicht trainiert werden.
Kontinenz ist meist wieder herstellbar
Wie lange es dauert wieder kontinent zu werden, hängt großteils vom Ausmaß der Schädigung durch die OP ab. Daher variiert die Zeit zw. Patienten von Wochen bis Monaten. In seltenen Fällen kann keine Kontinenz mehr erreicht werden. Hier kann überlegt werden, ob das operative Einbringen von Schlingen- oder Drucksystemen angezeigt ist. Weitere Indikationen für Physiotherapie in Bezug auf den männlichen Beckenboden sind zum Beispiel nach Ausschabung der Prostata bei gutartiger Vergrößerung, bei Erektionsstörungen, wenn die versorgenden Nerven nicht geschont werden konnten oder bei chronischem Beckenbodenschmerz. Bei Drang-Inkontinenz muss zusätzlich zum HSM ein richtiges Miktions- und Blasenverhalten trainiert werden. Nicht jede/r PhysiotherapeutIn ist zur Therapie des männlichen Beckenbodens ausgebildet. In Österreich gibt es spezielle Fortbildungkurse dafür. Entsprechende TherapeutInnen geben dies in ihrem Portfolio an.