Der stille Boom der Chinesischen Medizin TCM

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Ganzheitliche Sichtweise in Diagnose und Therapien - wenig Nebenwirkungen – oft rasch sichtbare Erfolge – aber Kritik an fehlender Evidenz.

 

Fast unbemerkt von einer breiten Öffentlichkeit erlebt die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) nicht nur in vielen westlichen Ländern sondern auch in Salzburg einen stetigen Zuwachs. Was steckt hinter dem Boom, was macht TCM so erfolgreich, welche Therapien und Präparate kommen zur Anwendung, was sagen Kritiker zur TCM, was kosten Behandlungen und was zahlen Kassen?

TCM steht für eine ganzheitliche Sichtweise des menschlichen Körpers und für alternative Heilverfahren, die auf einen jahrtausendealten Erfahrungsschatz zurückblicken. Eine alternative Sichtweise, die auch in Salzburg von einer wachsenden Zahl von Ärztinnen und Ärzten als Ergänzung zur westlichen Schulmedizin gesehen wird. Immer mehr klassisch schulmedizinisch ausgebildete Ärzte absolvieren spezielle Zusatzstudien und erwerben TCM-Diplome, um ihren Patientinnen und Patienten, bei denen sie mit den westlichen Heilverfahren nicht mehr das Auslangen zu finden scheinen, diese alternativen Heilverfahren anbieten zu können. Durchaus mit Erfolg.

Spricht man mit TCM-Ärzten über die Gründe für den TCM-Boom, sind es ganz einfach erfolgreiche Behandlungen, die zufriedene Patientinnen und Patienten danach in ihrem Bekanntenkreis verbreiten. Das verschafft den darauf spezialisierten Praxen immer mehr Zulauf.

Dr. Maria Braumann, Allgemeinmedizinerin, Anästhesie- und Intensivmedizinerin, die auch über eine umfassende Ausbildung in der TCM verfügt und in der Stadt Salzburg das Zentrum für Traditionelle Chinesische Medizin leitet, verweist in einem Interview vor allem auf die ganzheitliche Sichtweise in der Diagnose und gibt ein Beispiel: „Kommt ein Patient mit Rückenschmerzen und man stellt Niacinmangel (Mangel an Vitamin B3, Anm. d. Red.) fest, dann weiß man in der chinesischen Medizin, dass der Patient auch mitunter Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und einen hohen Blutdruck hat und alle diese Symptome können mit einem einzigen Rezept behandelt werden.“ Maria Braumann verweist darüber hinaus auf die prophylaktischen Funktionen in der TCM, bei denen es vor allem darum gehe, „die unter der Haut fließenden Abwehrkräfte“ zu stärken und so gegen Infektionen und Krankheiten besser gefeit zu sein.

 

Die Philosophie von Yin und Yang

Philosophische Lehren bilden die Grundlage der TCM. Die allgegenwärtigen Gegensätze Yin und Yang, die letztlich dennoch als einheitliches Gesamtes gesehen werden und auch die Lebensenergie Qi beherrschen laut TCM die gesamte Natur. Die Energie Qi fließt im menschlichen Organismus in bestimmten Leitbahnen - auch Meridiane genannt - durch den Körper. Und verbindet so alle Organe miteinander. Da alles mit allem zusammenhängt, muss dieser Gesichtspunkt bei Diagnose und Therapie berücksichtigt werden um auf die eigentliche Ursache stoßen zu können, die jeder Erkrankung zugrunde liegt.

Deshalb wird bei der TCM auch der ganze Körper analysiert: Körperhaltung, Augen, Zähne, Haut, Fingernägel und selbst der Gesichtsausdruck gibt Aufschluss über innere Befindlichkeiten - wo das Gleichgewicht gestört ist, wo mit den breit gefächerten TCM-Therapien anzusetzen ist.

 

Die fünf Säulen der TCM

Die Traditionelle Chinesische Medizin umfasst fünf verschiedene Behandlungsverfahren, die auch als die „fünf Säulen“ bezeichnet werden. Diese fünf Heilmethoden können einzeln oder in Kombination eingesetzt werden. 

 

Säule 1: Akupunktur

Die Akupunktur ist die bekannteste Behandlungsmethode der TCM. Dabei werden bestimmte Punkte des menschlichen Körpers mit Akupunkturnadeln stimuliert um die Lebensenergie - das Qi - zu beeinflussen, das nach chinesischer Vorstellung gestört sein kann. Durch die Nadeln wird die Störung aufgehoben, sodass das Qi wieder harmonisch fließen kann. Wenn die Nadeln an den Akupunkturpunkten eingestochen werden, kann ein kurzzeitiger Schmerz oder ein Brennen auftreten. Zur besseren Stimulierung können sie auch gedreht oder in eine andere Richtung bewegt werden. Während die Nadeln liegen, spüren die Patienten ein Druck-, Temperatur- oder Taubheitsgefühl.

Über die Nadeln können zusätzlich elektrische Impulse in den Körper geleitet werden, was auch als „Elektroakupunktur“ bezeichnet wird. Durch den elektrischen Strom kommt es nicht nur an der Einstichstelle, sondern auch einige Zentimeter um sie herum zu einer schmerzlindernden Wirkung, was das Bewegen der Nadeln im Körper überflüssig macht. Die Elektroakupunktur lässt sich vor allem zur Behandlung von Lähmungen und Nervenerkrankungen einsetzen. Häufig bleiben die Nadeln nur kurz im Körper und werden nach wenigen Minuten wieder entfernt.

Bei der Moxibustion werden Akupunkturpunkte durch Erwärmen stimuliert. Dabei wird getrocknetes Beifußkraut direkt auf der Haut angezündet. Nach dem Verglimmen bleibt eine kleine Brandblase zurück. Heute werden dazu vor allem Moxazigarren und Moxakugeln aus getrocknetem Beifußkraut verwendet. Die Kugeln können außerdem auf Akupunkturnadeln aufgesteckt werden. Die Nadeln leiten dann die Wärmeenergie in den Körper.

 

Säule 2: Die Chinesische Arzneimitteltherapie (CAT)

Die Arzneimitteltherapie stützt sich vor allem auf Heilpflanzen, in seltenen Fällen auch auf Mineralien und tierische Bestandteile. Sie werden meist in Form von komplexen Rezepturen verabreicht, die aber immer individuell auf den Patienten abgestimmt sind. Dabei handelt es sich in der Regel um einen Tee oder einen Arzneimittelsud aus Pflanzenbestandteilen wie Wurzeln, Rinden, Blättern, Stängeln und Blüten. 

Für die Zubereitung und Einnahme erhalten die Patienten genaue Anweisungen. Die Einnahme erstreckt sich, je nach Schwere der Erkrankung und Ausmaß der Beschwerden, meist über eine Woche. Sie kann aber auch mehrere Monate dauern. Chinesische Arzneimittel können außerdem in Form von Extrakten, Pulvern und Pillen verschrieben werden.

Die CAT ist der Pharmakologie des Westens durchaus ähnlich. Entsprechend sind auch die chinesischen Arzneimittel hochwirksame Medikamente. Daher ist zuvor eine genaue Untersuchung und eine ebenso exakte Diagnose erforderlich.

Da die Mittel nicht nur Wirkungen, sondern auch Nebenwirkungen haben können – wenn auch meist geringere als viele Präparate der schulmedizinische Pharmakologie - sollte das Blut dabei regelmäßig kontrolliert werden – und auch Organe wie Leber und Nieren, die für Abbau und Ausscheidung der Arzneien verantwortlich sind. 

 

Säule 3: Qigong und Taiji

Bei Qigong und Taiji handelt es sich um spezielle Bewegungsabläufe, Atem- und Koordinationsübungen, die eine bewusste Verbindung von Bewegung, Atmung und geistiger Vorstellungskraft erzeugen. Sie sollen den Körper reinigen und stärken, das Qi lenken und kultivieren, Ruhe vermitteln, Spannungen und Stauungen lösen und die gesamte Behandlung unterstützen. 

Bei den Übungen werden Leitbahnen, die Meridiane und ihre Reflexpunkte in einer genau festgelegten Reihenfolge gedehnt. Gleichzeitig wird die Atmung gelenkt und auf bestimmte Atemzielpunkte konzentriert, sodass man einzelne Körperregionen im Bewusstsein verstärkt wahrnimmt. Dadurch kann die Regulation der Organfunktionen durch das Nervensystem verbessert werden.

 

Säule 4: Tuina

Die Tuina ist eine der ältesten manuellen Therapien. Sie setzt ähnlich wie die Akupunktur Reize durch unterschiedliche Massage- und Grifftechniken. Meist wirkt sie intensiver und anhaltender als eine herkömmliche Massage. 

Bei der Tuina werden häufig verschiedene Techniken wie Kneten, Greifen, Streichen und Klopfen miteinander kombiniert, um Energieblockaden zu lösen sowie die Lebensenergie Qi und die Blutzirkulation anzuregen.

Darüber hinaus werden auch Muskeln, Sehnen, Bänder und Gelenke in die Tuina eingeschlossen. Die Behandlung eignet sich für Patienten jeden Alters und dauert je nach Größe des Körperteils 15 bis 30 Minuten. Wird der gesamte Körper behandelt, kann sie auch eine Stunde dauern.

 

Säule 5: Diätetik/Ernährungslehre

Die Ernährungslehre spielt in der TCM eine wichtige Rolle, weil sie ein einfaches Mittel ist, mit dem der Patient selbst zur Genesung beitragen kann. In der TCM geht man davon aus, dass Nahrungsmittel eine energetische Heilwirkung haben. Das heißt, Speisen und Getränken werden neben den Nährwerten wie Kohlenhydrat-, Fett- und Eiweißgehalt auch bestimmte vegetative Wirkungen zugeschrieben. 

So kann zum Beispiel eine Chilischote schweißtreibend und ein Joghurt kühlend wirken. Zudem können Nahrungsmittel die Lebensenergie Qi heben oder senken und in der Tiefe oder an der Oberfläche wirken. 

Verantwortlich für die Wirkung sind die Geschmacksrichtungen, der Geruch, die Farbe, Temperatur und Konsistenz der Lebensmittel. So wirken die unterschiedlichen Geschmacksrichtungen auf unterschiedliche Organe: Bitteres stimuliert das Herz, Saures die Leber, Scharfes die Lunge, Salziges die Nieren, Süßes die Milz und die Bauchspeicheldrüse.

 

Hände weg von Angeboten aus dem Internet!

Chinesischen Arzneimittel sollten nur nach ärztlichem Rezept aus der Apotheke bezogen werden, weil Kräuter und Heilpflanzen aus zweifelhaften Quellen gefährliche Verunreinigungen wie etwa Schwermetalle enthalten können, wie schon festgestellt worden ist. Und Finger weg von Produkten mit Inhalten von seltenen Tieren wie etwa von Tigern, Nashörnern, Pangolin (Schuppentier) oder Seepferdchen! Ist alles schon vorgekommen und wird nach wie vor auf diversen Seiten im Internet angeboten. Da es auch einen Graubereich in der TCM gibt, ist es wichtig, sich nur Ärzten anzuvertrauen, die sowohl die klassischen schulmedizinischen Diplome wie auch jene der TCM vorweisen können.