Wenn mit der Erholung die Erschöpfung kommt

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INTERVIEW: Die schönste Zeit im Jahr hat begonnen: Der heiß ersehnte Urlaub! Doch was, wenn Erschöpfung den Urlaubsgenuss überschattet und sich statt Glücksgefühl die große Leere breit macht? PULS sprach mit drei Expertinnen.

 

Man sitzt am Strand, schaut aufs Meer und müsste doch zufrieden und glücklich sein. Tatsächlich dominieren innere Unruhe und Unzufriedenheit unser Gefühlsleben. Kennen Sie dieses Phänomen?

SPITZER-GASTAGER: Wir sind als Psychotherapeutinnen immer wieder damit konfrontiert. Gerade war man noch voll am Funktionieren, gab 150 Prozent im Job oder für die Familie und plötzlich soll man sich entspannen. Das funktioniert vor allem bei Menschen, die lange unter Stress standen, nur selten.

 

Was kann man tun, damit man keinen Urlaubsschock erleidet?

AMBACH-WEINZIERL: Empfehlenswert wäre, schon vor dem Urlaub langsam runterzuschalten, d.h. nicht bis zum letzten Moment bis zum Anschlag zu arbeiten, sondern geplant zu reduzieren. Es hilft auch, sich anfangs im Urlaub eine Tagesstruktur, z.B. in Form von Sporteinheiten, zu überlegen. Oder einen kleinen Städtetrip zu unternehmen, bevor man Erholung am Strand plant. Dann fällt man nicht von über 100 auf null.

 

Und wenn doch negative Gefühle das Urlaubsglück trüben?

SCHATZMANN: Das Wichtigste ist, diese Gefühle auch anzunehmen. Ihnen Raum zu geben und sich zu sagen: Es ist, wie es ist und es darf auch sein. Und die eigenen Bedürfnisse zu erkunden: Wenn ich traurig bin, was tröstet mich? Wenn ich müde bin, was bringt mir Erholung?

AMBACH-WEINZIERL: Die meisten, die in hohen Leistungs- und Funktionsmodi unterwegs sind, wissen das gar nicht mehr. Wenn wir Patienten oft fragen, was ihr Bedürfnis ist, was sie denn gerne machen, kommt meist lange gar nichts. Weil sie sich die Frage schon ewig nicht mehr gestellt haben. Gut wäre auch, dem Urlaubs-Partner mitzuteilen, wie es einem gerade geht. Aber unbedingt auf Schuldzuweisungen verzichten.

 

Wie kann man sich selbst helfen?

SPITZER-GASTAGER: Es hilft, sich im Hier und Jetzt zu orientieren, mit Achtsamkeitsübungen die Sinne zu aktivieren, etwa mit der 5-4-3-2-1-Übung (siehe Infobox). Ganz bewusst im Moment zu sein: Wenn ich sitze, dann sitze ich. Wenn ich esse, dann esse ich. Nicht, nach vorne denken, sondern im Jetzt sein. Das ent-stresst.

 

Angenommen, die Erschöpfung hört auch nach dem Urlaub nicht auf: Wann sollte man Hilfe aufsuchen?

SPITZER-GASTAGER: Wenn die nährenden Sachen, die früher Spaß gemacht haben, plötzlich zur Last werden und anstrengend sind. Wenn Schlafen keine Erholung mehr bringt und man nicht mehr regeneriert. Wenn Erschöpfung und Unruhe gleichzeitig da sind und man aus dem Grübeln nicht mehr herauskommt. Auch ständige Gereiztheit und Unzufriedenheit oder Konzentrationsstörungen sind Indikatoren, dass etwas nicht stimmt.

 

Und woran erkennt man, dass man schon einen Schritt weiter und nahe am Burn-Out ist?

AMBACH-WEINZIERL:  Wir stellen fest, dass diese Menschen oft nicht mehr richtig gesund werden. Sie haben einen Infekt und regenerieren sich nicht mehr. Ein Zeichen, dass das Immunsystem nicht mehr gut funktioniert. Ein weiteres Anzeichen sind anhaltende depressive Stimmungen, aus denen man sich selbst nicht mehr rausholen kann, oder Schlafstörungen über längeren Zeitraum.

Morgens ist das Aufstehen schwierig, man muss sich dazu zwingen und hat das Gefühl, gar nicht geschlafen zu haben.

SCHATZMANN: Viele PatientInnen beschreiben, dass sie nur noch funktionieren und von außen getrieben sind. So, als ob sie ihr Leben nicht mehr selbst steuern können und machtlos und ausgeliefert sind. Die Sinnlosigkeit steht im Vordergrund und man fragt sich, wie das die nächsten Jahre weitergehen soll und vor allem was das bringen soll. Diese Leere bringt oft auch Empathielosigkeit, also die Fähigkeit Mitgefühl zu spüren, mit sich. Viele spüren sich selbst auch nicht mehr.

 

Haben Ihren Beobachtungen nach Burn-Out- und Erschöpfungszustände zugenommen?

SCHATZMANN: Ja. Die Zahl der Menschen, die Hilfe sucht, ist seit Beginn der Pandemie stark gewachsen und wir stellen fest, dass alle gleichermaßen betroffen sind: Junge, Alte, Männer, Frauen. Alle waren auf ihre Art massiv gefordert.

 

Geben Sie uns noch Tipps, wie man vorbeugen und für seine seelische Gesundheit sorgen kann?

SPITZER-GASTAGER: Für Menschen, die im Arbeitsleben stehen, sagt man in der Prophylaxe, dass man jeden Tag so aus der Arbeit rausgehen sollte, dass man noch Lust auf etwas anderes hat. Das Wochenende sollte auch nicht zur Erholung, das heißt zum endlosen Netflixen da sein, sondern dafür, dass man Dinge tut, die einem Freude machen, z.B. Bewegung, gute Ernährung, soziale Kontakte.

AMBACH-WEINZIERL: Die eigenen Bedürfnisse zu kennen, ist ganz wichtig. Und diese nach Möglichkeit zu erfüllen. Es lohnt sich auch, einen Blick auf das eigene Wertesystem zu werfen: Für eine Patientin war z.B. lange die Karriere der wichtigste Wert. Dafür hat sie sehr viel investiert. Nun ist es aber die Lebensqualität, die über der Karriere steht und das kann einen Wertekonflikt verursachen. Es hilft, so etwas zu erkennen, damit Veränderung passieren kann und wir Psychotherapeutinnen unterstützen in solchen Prozessen

 

Sollte nicht Gesundheit der wichtigste Wert unseres Lebens sein?

SPITZER-GASTAGER: Es täte uns sicher gut, den Wert Gesundheit wieder für uns selbst in den Vordergrund zu holen. Einmal die eigene Leistungs- und Funktionsfähigkeit in den Dienst der Gesundheit zu stellen. 

 

Vielen Dank für das Gespräch!

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