Pandemie, Krieg, Inflation - was da auf uns eingestürzt ist in kürzester Zeit, das macht etwas mit uns. Wie umgehen mit diesen Belastungen? Mehr Resilienz kann helfen, das heißt Gelassenheit und Widerstandskraft gegen schlechte Nachrichten und Fakten. Resilienz als Lebensprinzip – cool bleiben kann man lernen.
Die Häufung negativer Ereignisse in den vergangenen Jahren und Monaten hat Folgen, die tief ins Bewusste und Unterbewusste der Menschen einsickern, jeden Einzelnen und ganze Gesellschaften verändern. Ob wir es bewusst wahrnehmen oder nur als dumpfes Gefühl – die nicht enden wollende Corona-Pandemie, plötzlich Krieg in Europa, quasi vor unserer Haustür, die Inflation, der Klimawandel – das drückt vielen aufs Gemüt.Die Häufung negativer Entwicklungen in jüngster Zeit lässt sich nur noch sehr schwer mit jenem optimistischen Grundvertrauen in die Zukunft in Einklang bringen, mit dem wir aufgewachsen sind, das die Jahrzehnte seit dem Krieg geprägt hat. Viele sehen, wie sich das Versprechen des Fortschrittsmodells immer mehr in Luft auflöst. Nämlich, dass die Zukunft besser sein würde als die Gegenwart und diese besser ist als die Vergangenheit.
Veränderung war immer – aber so?
Dass der „Fortschritt“ im kapitalistischen Verständnis, dieses immer noch mehr und noch mehr nicht ewig so weitergehen kann – schon allein aufgrund der begrenzten Ressourcen des Planeten – ahnten die meisten von uns wohl schon seit längerem. Aber deshalb gleich ins andere Extrem kippen und nur noch „Zukunft als Katastrophe“ denken, wie es die Wiener Autorin Eva Horn einmal formuliert hat?Nein, man kann – als Individuum und als Gesellschaft - damit umgehen lernen. Nicht alles sei nur negativ, sagen Wissenschaftler, die sich damit befassen. Krise sei immer auch Chance. Die Wissenschaft spürt den Veränderungen der Stimmungslagen nach und skizziert Lösungsansätze. Im Grunde geht es um Resilienz im Persönlichen und um systemische Resilienz in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Denn nicht nur im Privaten ist Resilienz gefragt. Alle Systeme, die das Land am Laufen halten, sind jetzt gefordert, sich resilient zu machen gegen ein Bündel an Problemen – vom Klimawandel über Landesverteidigung, Pandemie, Inflation, Energieengpässen bis hin zu Lieferkettenausfällen und Personalnot allenthalben. Der deutsche Kultursoziologe Andreas Reckwitz („Die Gesellschaft der Singularitäten“, „Das Ende der Illusionen“) befasst sich mit den Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft und sieht diese zunehmend von Verlustängsten geprägt. Was auf der einen Seite zum weiteren Erstarken extremer Parteien und zu Erfolgen verantwortungslos populistischer Demagogen führt, die ein Zurück in die angeblich so heile Welt der 50er Jahre vorgaukeln („take back control“, „America first“ etc.). Auf der anderen Seite reagiert die gewählte Politik darauf mit einem „Verlustmanagement“, wie Reckwitz kürzlich in einem „Standard“-Interview meinte: „Statt um Fortschritt geht es nun darum, widerstandsfähiger gegenüber negativen Entwicklungen zu werden, sich gegen Verluste zu wappnen und nicht zu kollabieren, wenn sie eintreten“ - erklärt er damit den Begriff „Resilienz“ ganz gut.Reckwitz: „Überall ist nun gerade der Staat gefordert, resiliente Infrastrukturen aufzubauen. Dahinter steckt ein deutlicher Perspektivwechsel der Politik in Richtung Verlustminimierung“. Wobei Reckwitz aber auch davor warnt, dabei den dringend nötigen Strukturwandel aus den Augen zu verlieren. „Statt um Fortschritt geht es nun nur noch darum, widerstandsfähiger zu werden. Ein Problem dabei ist, wenn man gar keinen Strukturwandel mehr versucht. Das hieße dann etwa, nur noch mit den Folgen des Klimawandels zu leben lernen und gar nicht mehr zu versuchen, diesen selbst zu bremsen“, so Reckwitz.
Resilienz kann man lernen
In der Psychologie versteht man unter Resilienz die seelische Widerstandskraft. (Lesen Sie dazu auch den Beitrag der Salzburger Psychotherapeutin Dr. Maria M. Ruby in dieser Ausgabe). Der Begriff bezeichnet die Fähigkeit, dass Menschen ihre psychische Gesundheit trotz widriger Lebensumstände aufrechterhalten können oder sie nach einer Krise zurückgewinnen. Resilienz in einem Bild aus der Natur – das ist wie Bambus im Wind: belastbar, flexibel, mit Widerstandskraft, nachgiebig, elastisch.Resiliente Menschen und Lebenseinstellungen hat es immer schon gegeben. Im Altertum waren das vor allem die Stoiker, etwa der römische Philosoph und Politiker Seneca. Ein Stoiker lässt sich nicht von Emotionen beherrschen, ist grundsätzlich optimistisch, dabei aber Realist. So wie eben Lucius Annaeus Seneca, der auch der reichste Mann seiner Zeit im römischen Reich war, als er im Alter von 65 Jahren ohne zu klagen oder auch nur mit der Wimper zu zucken den tödlichen Giftbecher leerte, wozu ihn Kaiser Nero gezwungen hatte. Da es keinen Ausweg gab, nahm er sein Schicksal an. Stoiker besinnen sich auf das, was sie selbst ändern können und gehen mit dem Rest gelassen um. Äußere Umstände und Handlungen anderer werden mit emotionaler Selbstbeherrschung hingenommen. Eine sehr reife Form von persönlicher Resilienz.
Alfons Gann