Knochenbrüche und Herzinfarkt, dazu hat jeder ein Bild im Kopf. Der Begriff „Epilepsie“ ist deutlich schwieriger. Beschwerden unterschiedlichster Form und Schwere treten meist für mehrere Minuten als Anfälle auf.
Diese können die Betroffenen in der Situation gehörig aus der Bahn werfen. Wenn man aus medizinischer Sicht einstufen kann, dass immer wieder Anfälle auftreten werden, spricht man von Epilepsie. Am belastendsten ist, dass man nie weiß, wann es wieder soweit ist. Die medizinische Behandlung ist sehr oft erfolgreich. Aber ist Epilepsie als ganz normale Erkrankung in der Gemeinschaft angekommen?
Das Praktische zuerst
Menschen mit Epilepsie sind während eines Anfalles, genau genommen “epileptischen Anfalles“, besonders schutzbedürftig. Die Erste Hilfe besteht in einem Schutz vor Verletzungen und Auskühlung sowie Überwachung der Atmung und gegebenenfalls Herbeiholen weiterer Hilfe. Eine einfache stabile Seitenlage kann lebensrettend sein. Eine unter den Kopf gelegte Jacke verhindert ein Schlagen gegen den Asphalt. Auf keinen Fall darf man Gegenstände in den Mund stecken. Eine Blaufärbung der Haut während eines großen Anfalles klingt nach Anfallsende bei dann wieder einsetzender Atmung ab. Selbst wenn ein Anfall nach wenigen Minuten meist von selbst wieder aufhört, dauert es oft noch mehrere Minuten oder sogar Stunden, bis Menschen mit Epilepsie wieder ihre volle Orientierung und Leistungsfähigkeit erhalten. Im familiären Umfeld wurden notwendige Maßnahmen meist zuvor abgesprochen. Für Ersthelfer gilt: wenn der Anfall nicht innerhalb von 5 Minuten aufhört oder sich der Patient anschließend nicht zunehmend erholt, soll man die Rettung verständigen.
Zusammenarbeit Krankenhaus und niedergelassene Ärztinnen
Das ärztliche und pflegerische Team des Krankenhauses unterstützt die Behandlung der Menschen mit Epilepsie durch niedergelassene ÄrztInnen, sowohl NeurologInnen als auch ÄrztInnen für Allgemeinmedizin. Idealerweise werden Menschen mit Epilepsie an der Spezialambulanz für Anfallserkrankungen, z.B. an der Universitätsklinik für Neurologie Salzburg, vorgestellt, verbleiben aber immer in regelmäßiger Behandlung ihrer behandelnden niedergelassenen NeurologInnen. Im Krankenhaus können über mehrere Tage die Hirnströme, also das Elektroenzephalogramm (EEG), abgeleitet werden. Da eine ständige Videoaufzeichnung besteht, werden Anfälle auch bildlich erfasst und können so genauestens untersucht werden. Nicht selten stellt sich dabei heraus, dass gar keine Epilepsie vorliegt, sondern eine instabile Kreislaufregulation oder eine Herzrhythmusstörung zur Bewusstlosigkeit geführt hat.
Kann jeder an Epilepsie erkranken?
Eines vorweg: Epilepsie ist nicht ansteckend. Epileptische Anfälle sind immer Folge einer Verletzung oder Erkrankung des Gehirns. Bei Epilepsie wurde somit die Gesundheit des Gehirns herausgefordert beispielsweise durch schwerere Kopfverletzungen, Schlaganfälle (Durchblutungsstörungen oder Blutungen), Entzündungen (Infektionskrankheiten oder Autoimmunerkrankungen, bei denen das Immunsystem fehlgeleitet das eigene Gehirn angreift), oder durch das Erbgut betreffende, also genetische, Veränderungen. Da jeder von uns diese auslösenden Erkrankungen erleiden kann, kann auch jeder von uns an Epilepsie erkranken. Über alle Altersstufen gerechnet, ist etwa ein Prozent der Bevölkerung an Epilepsie erkrankt.
Die Therapie ist sehr oft erfolgreich
Für viele ist überraschend, dass das erste zum Einsatz kommende Medikament schon bei knapp der Hälfte der Menschen mit Epilepsie zur Anfallsfreiheit führt. Bei jenen, bei denen das erste nicht erfolgreich war, gelingt es mit dem zweiten Medikament bei jedem vierten Patienten. Falls auch das nicht zu bleibender Anfallsfreiheit führt, sollte eine mehrtägige Video-EEG-Untersuchung im Krankenhaus erfolgen. Manchmal kann auch die neurochirurgische Entfernung der Ursache, z.B. eine Narbe oder kleine örtliche Fehlentwicklung, zu Anfallsfreiheit führen. Davor wird jedoch eingehend untersucht, wie man am besten vorgeht, damit der anfallshervorrufende Teil entfernt, aber gleichzeitig alle Funktionen möglichst komplett erhalten bleiben. Noch eines: die Medikamente sind durchwegs „anfallsunterdrückend“, d.h. sie können die Anfälle in der Zeit ihrer Einnahme unterdrücken. Ein Heilmittel dagegen, dass Epilepsie z.B. nach einer Kopfverletzung entsteht, gibt es (noch) keines. Nach mehreren Jahren Anfallsfreiheit legen Patienten nach ärztlicher Beratung fest, ob ein Ausschleichversuch mit langsamer schrittweiser Dosisverminderung und schließlich gänzlichem Absetzen erfolgen soll. Man kann auch von Epilepsie gänzlich geheilt werden: wer 10 Jahre anfallsfrei ist, davon die letzten 5 Jahre ohne Medikament, gilt als geheilt.
Schwangerschaft? – Ja!
Bei jeder Frau in einem Alter, in dem Kinder zur Welt gebracht werden können, wird darauf geachtet, dass jene Medikamente zum Einsatz kommen, bei denen das Risiko für Fehlbildungen beim Kind nahezu genauso niedrig ist wie in der allgemeinen Bevölkerung. In der Schwangerschaft sinkt die Konzentration der Medikamente im Blut, der „Spiegel“, durch die körperlichen Umstellungen in der Schwangerschaft ab, weshalb zur Aufrechterhaltung der Anfallsfreiheit die Dosis erhöht werden muss. – Allerdings: das Baby sieht nur den immer gleichen Blutspiegel und nicht die Tabletten, die die Mutter schluckt. Nach der Entbindung werden die Tabletten rasch wieder auf das Niveau vor der Schwangerschaft reduziert. Während der gesamten Schwangerschaft und um die Geburt sowie danach kümmern sich die behandelnden NeurologInnen sowie Frauen- und KinderärztInnen um die bestmögliche Versorgung von Mutter und Kind.
Ich habe einen Traum
Es ist wunderbar, wenn Kinder bereits in der Volksschule die Herz-Lungen-Wiederbelebung erlernen und üben. Wie großartig muss es sein, wenn wir früh in unserem Leben mit epileptischen Anfällen vertraut werden, sodass wir angst- und vorurteilsfrei jede Situation mit Anfällen in unserem Alltag meistern? NeurologInnen könnten pädagogisch abgestimmt in Schulen vortragen. Kinofilme könnten „nebenbei“ zeigen, dass Erste Hilfe und kompetentes Miteinander so einfach wären.
EPILEPSIE
Die Kenntnis bereits weniger Fakten schafft Kompetenz und Sicherheit
Der epileptische Anfall
Meist nur wenige Minuten dauernd, sehr unterschiedlich von Mensch zu Mensch,
kann mit Bewusstlosigkeit oder Sturz einhergehen, „Gewitter im Kopf" oder
„wie wenn am Klavier viele Tasten auf einmal gedrückt werden",
sehr belastend: unklar, wann nächster Anfall
Erste Massnahmen
Vor Verletzungen schützen (Jacke unter den Kopf), Auskühlen verhindern (Decke),
stabile Seitenlage, Atmung überwachen. Wenn der Anfall länger als 5 Minuten dauert,
oder sich die PatientIn danach nicht zunehmend erholt, Rettung verständigen!
URSACHEN
Grundsätzlich kann jede Verletzung oder Erkrankung des Gehirns zu Epilepsie führen,
z.B. Kopfverletzungen, Schlaganfälle (Hirnblutungen oder Durchblutungsstörungen,
Entzündungen des Gehirns (Viren, Bakterien, eigenes Immunsystem)
Gesundheitsversorgung & UNTERSUCHUNGEN
Niedergelassene NeurologInnen arbeiten mit dem Team
im Krankenhaus zusammen, Patienten bleiben in dauernder Behandlung der
niedergelassenen NeurologIn, im Krankenhaus: mehrere Tage Video-EEG-Untersuchung,
EEG (Hirnströme), MRI = MRT = Kernspintomographie des Gehirns
(Bildgebung auf Magnetfeldbasis),
Schwangerschaft
engmaschige neurologische Betreuung und Behandlung
während der Schwangerschaft und um die Geburt, mit bestimmten Medikamenten
Risiko nahezu wie in Normalbevölkerung, Dosisanpassung wegen Spiegelabfall notwendig
Schule
frühzeitiges allgemeines Besprechen von Krankheiten und Erster Hilfe,
u.a. Epilepsie, Menschen mit Epilepsie sollen an Schulveranstaltungen teilnehmen,
Klassengemeinschaft durch Kompetenz, Vorträge durch NeurologInnen
Therapie
sehr oft erfolgreich, Medikamente unterdrücken Anfälle, ggf. klären,
ob Operation möglich, Therapieziel: Anfallsfreiheit
Autofahren
Fahrtauglichkeit im Rahmen gesetzlicher Vorgaben und Richtlinien der Fachgesellschaft
Markus Leitinger