Wie die Ahnen uns prägen: die Erkenntnisse der Epigenetik in der Psychotherapie

In der Psychotherapie werden vordergründig frühe individuelle Traumen sowie Bindungsstörungen in der Eltern-Kindbeziehung und deren Auswirkungen auf den Klienten behandelt. Aber immer mehr wird aufgezeigt, dass die Ahnengeschichte zur Behandlung seelischer Schmerzen von wesentlicher Bedeutung ist.

 

Ängste die sich über Generationen weiter vermittelt haben, wirken beim Klienten bis heute. So finden sich etwa traumatische Ereignisse der Großeltern im Erbgut der Enkel. Schon Sigmund Freud erkannte die Macht des Unbewussten und verdrängten Traumen aus der Kindheit. C.G. Jung ergänzte dies mit dem kollektiven Unbewussten.

 

DNA-Schäden durch die Vergangenheit

Krieg, Folter, Hunger und Vertreibung sowie andere einschneidende Lebensereignisse, hinterlassen nicht nur psychische Spuren, sondern auch DNA-Schäden in den Immunzellen. Durch eine geeignete Psychotherapie kann auch das Ausmaß einer DNA-Schädigung deutlich reduziert werden. Die Epigenetik soll somit helfen, dass die posttraumatischen Stresserkrankungen und andere psychische Störungen künftig nicht nur in der Biografie der Betroffenen die Ursachen gesucht werden, sondern auch in der ihrer Ahnen. Diese hatten selbst nicht die Möglichkeit, die Traumen ihrer Lebensgeschichte zur Sprache zu bringen. Sie mussten selbst ihre Emotionen unterdrücken, um zu überleben, (Überlebens-Ich) indem sie Traumen verdrängten. Diese Abspaltung der Vorfahren lebt in den nächsten Generationen weiter (Jedenfalls 3 bis 4 Generationen). Die Wissenschaft kann diese Prozesse immer besser erklären, (durch Tierversuche als auch in der Behandlung von Traumen z.B. bei Flüchtlingen in der aktuellen Zeit) und entwickelte spezielle Behandlungsmethoden. Eine Möglichkeit dabei ist, negative epigenetische Veränderung entweder rückgängig zu machen oder positive, als Gegenspieler zu induzieren (Elisabeth Binder, Direktorin des MPI für Psychiatrie). Ein Kind im Trauma-Klima übernimmt unbewusst die Ängste der Eltern und Großeltern. Später als Erwachsene kommen diese Ängste in der Behandlung „wie selbst erlebt“ zu tragen. Es ist daher wichtig, ererbte Wunden zu erkennen und zu heilen. Kollektive Traumen als auch allgemein nicht verarbeitete seelische Wunden werden unbewusst weitergegeben, auch wenn die Vorfahren darüber schwiegen.
Taumainhalte können auch über Tabuthemen vermittelt werden. Die Spur auf neurobiologischer Ebene zeigt sich auch in einem veränderten Stresshormonspiegel.
Das Wissen über transgenerationale Traumatisierung ist derzeit noch zu gering, sodass diese bis heute in den Therapien zu wenig Beachtung findet. Es ist daher notwendig die familiären Muster und Prägungen unserer Vorfahren zu erkennen.

 

Das soziale Atom

In meiner Arbeit mit psychodramatischen Aufstellungen (Einzel als auch in der Gruppe) wird vor der Aufstellung eine Zeichnung, das sogenannte Soziale Atom (nach Moreno, Gründer der Psychotherapiemethode „Psychodrama, Rollenspiel und Soziometrie“) angefertigt.Das soziale Atom besteht aus der kleinsten Einheit des sozialen Beziehungsgefüges aus allen Beziehungen. Dazu kommt die Wahlverwandtschaft, das kann sich auf verschiedene Kriterien wie Liebe, Arbeit und Interessen usw. beziehen. In meiner Arbeit wird das soziale Atom familiensystemisch ergänzt, durch Darstellung individueller und kollektiver Traumen, systemisch Ausgegrenzte (zB. verschwiegene früh verstorbene Geschwister), Abtreibungen, Selbstmord. Die Übernahme der kollektiven Schuld ist wesentlich für die seelische Beeinträchtigung. Durch die Zeichnung wird deutlich, ob der Klient seinen Ich-Platz einnehmen kann. Steht er also im Mittelpunkt, ist sein Kindheits-Ich belastet. Wie sind die Rollen Opfer-Täter-Retter verteilt, wo sind die Blockaden des autonomen Ichs/Selbst?
Im anschließenden Rollenspiel ist es dann möglich aus den von den Ahnen geprägten Rollen auszusteigen. Der Klient erlebt infolge sein eigenes Selbst wie zum ersten Mal, gleich einer erneuten psychischen Geburt. Sein Kindheits-Ich ist meist von Eltern, Großeltern Ausgegrenzten etc. belegt und mit dem Gewinn des inneren freien Kindes fühlt er sich erstmals lebendig, gleich einer Selbsterneuerung. Dies geschieht durch die Abgrenzung der Vergangenheit, die Übernahme der eigenen Rolle, die Ablösung aus der Fremdbestimmung.


Fallbeispiel

Eine Klientin erfährt, dass ihre bedrohlichen Ängste und Trauer ihrer Mutter gehörten, die ein Kind vor ihrer Geburt verlor. In der Rolle der Mutter (Psychodramatischer Rollentausch) weint sie heftig über dieses Kind. Durch die Abgrenzung und Rückgabe dieser seelischen Schmerzen spürte sie erstmals eine Erleichterung und Lebensfreude. Die ehemals verinnerlichte Bezugsperson ist nicht mehr in ihrem Seelen-Raum und das Schicksal der Mutter kann gewürdigt werden. Ererbte Wunden können so vernarben. Die falsche und zum Überleben notwendige Loyalität des inneren Kindes den Vorfahren gegenüber, kann aufgearbeitet werden, indem die übernommen Themen, Glaubensätze, archaische Moraleinstellungen abgegrenzt werden. Dabei werden zwei Räume definiert: der eigene sowie der fremdbestimmte Raum und in einem symbolischen Koffer werden die übernommenen Anteile (Schuld, Scham, Lasten, Ängste etc.) eingepackt und zurückgegeben. Im Psychodramatischen Rollenspiel kann die erneuerte, eigene Rolle gefestigt werden, es dient der Rollenintegration, was der Selbstfindung der Selbstverwirklichung und Befreiung dient. Aus Fremdem wird Eigenes.

 

Beispiel eines sozialen Atoms

Eine Klientin kommt wegen Problemen mit ihrer 20-jährigen Tochter. Es wird deutlich, dass im Mittelpunkt die kollektive Schuld steht. Das Ich ist abgespalten. In der Aufstellung wird manifest, dass die Klientin die Schuld des früh verstorbenen Vaters, dieser starb als sie 10 Jahre alt war, trägt. Dieser gab einen ihr unbekannten Halbbruder zur Adoption frei. (Unbewusst war auch die Angst der Klientin da, “ich könnte auch weggegeben werden“). Auch die Mutter war kein sicherer Platz für sie (2 Fehlgeburten,1 Abtreibung bei der Mutter). Die eigene Tochter, spiegelt ihr nun das Kollektiv, die sich dem Leben verweigert (sie leidet unter Sozialphobie und Bulimie). Indem die Klientin die Verantwortung für ihren Raum übernahm, konnte sie ihre Tochter auch entlasten, die ihre Essstörung aufgab, ohne dass sie von der Arbeit ihrer Mutter wusste. Durch die Wahrnehmung des kollektiven Schicksals und Loslösung der Klientin aus diesem, wurde auch ihre Tochter befreit. Bruce Lipton (Entwicklungsbiologe “Intelligente Zelle“) zeigt den Weg des Menschen aus der „Dauer-Opferrolle“ zum Mitgestalter im Leben auf. Unser Denken und Fühlen sind es, die in jede Zelle hineinwirken und unser Leben bestimmen. Der Mensch ist nicht Gefangener seines genetischen Erbgutes. Psychotherapie lindert nicht nur die Symptome, sondern reduziert auch die Schäden in der DNA. Mit der Aufarbeitung der Familiengeschichte wird klar: „Ich bin eigener Regisseur in meinem Leben“ das mir gewährt, in Fülle, Frieden, Freiheit und Liebe zu sein.

 

von Dr. Maria M. Ruby

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